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Vorlesung 3

Literatur der Zwanziger Jahre (1918-1933)

 

Das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis zur Machtergreifung durch Hitler 1933 ist die Zeit der „Weimarer Republik". Trotz der Kriegsniederlage und den harten Friedensbedingungen, die im Friedensvertrag von Versailles 1919 für Deutschland festgelegt wurden, nennt man diese Zeit im Rückblick auch,,die Goldenen Zwanziger Jahre". Es war eine Zeit wissenschaftlicher Innovationen. Besonders auf dem Gebiet der Medien gab es viele Fortschritte. Die Anfangsphase von Film und Hörfunk fiel in diese Jahre; 1923 wurde das erste öffentliche Rundfunkprogramm ausgestrahlt, bereits 1917 war die UFA (Universum Film-AG) gegründet worden.

Gleichzeitig wuchs aber auch der Nationalsozialismus als eine Gegenbewegung zur Revolution und zum parlamentarisch-demokratischen System.

Berlin war das politische und kulturelle Zentrum dieses Jahrzehnts. Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Zeit des literarischen Expressionismus allmählich zu Ende. Die Autoren wurden nüchterner, aber auch entschiedener in der Ablehnung oder Befürwortung politischer Programme und Richtungen. In Thomas Manns Rede Von deutscher Republik, die er zum 60. Geburtstag Gerhart Hauptmanns 1922 hielt, heisst es:

Der Staat ist unser aller Angelegenheit geworden, wir sind der Staat, und dieser Zustand ist wichtigen Teilen der Jugend und des Bürgertums in tiefster Seele verhasst, sie wollen nichts von ihm wissen, sie leugnen ihn nach Möglichkeit, und zwar hauptsächlich, weil er sich nicht auf dem Wege des Sieges, des freien Willens, der nationalen Erhebung, sondern auf dem der Niederlage und des Kollapses hergestellt hat und mit Ohnmacht, Fremdherrschaft, Schande unlöslich verbunden scheint.

In die 20er Jahre fällt ein Teil des Werkes von H. Hesse, das man oft mit dem Begriff „Neuromantik" charakterisiert hat. Hesse übernahm die Erkenntnisse des Psychoanalytikers C. G. Jung (1875-1961) und zeigte in seinen Romanen häufig an Einzelgängern eine Krise der bürgerlichen Werte. Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend erschien 1919 anonym. Dieser Roman zeigt deutlich den Einfluss der Kriegserlebnisse. Das Freundespaar Sinclair und Demian steht für das Verhältnis von Kunst und Leben. Der mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattete Demian taucht in entscheidenden Augenblicken im Leben Sinclairs auf; dieser versucht,

das eigene Schicksal zu finden, nicht ein beliebiges, und es in sich auszuleben, ganz und ungebrochen.

Hesses Roman Der Steppenwolf (1927) stellt einen Menschen dar, der im Konflikt zwischen Künstlertum und bürgerlicher Welt eine gespaltene Existenz führt und sich selbst als „schizophren" bezeichnet. Auch dieser Roman zeigt, wie Hesse psychoanalytische Studien in ein literarisches Werk einbrachte.

Etwa ab 1925 kаnn man in Romanen, Theaterstücken und Gedichten eine neue Art der Darstellung erkennen, die man mit dem Stichwort,,Neue Sachlichkeit" bezeichnet. Sachlich, nüchtern und genau beobachtend sprachen viele Autoren ihre Kritik an der Zeit aus. Sie bekämpften eine Neuorientierung an falschen Vorbildern und beklagten den Verfall moralischer Werte. In den Romanen der Neuen Sachlichkeit (vor allem bei Döblin und Kästner) findet man Tatsachenberichte, Reportagen und Montagen. Dieser Stil wurde aber auch in Theaterstücken von Brecht und Zuckmayer benutzt, ebenso wie in der Lyrik von Brecht, Kästner und Tucholsky.

Der Inhalt der Dichtung gewann wieder mehr Bedeutung als die Form.

In den 20er Jahren begann über die Gattung des Romans eine Diskussion, für die Georg Lukacs (1885-1971) eine Grundlage gegeben hatte.In seinem Werk Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der grossen Epik (1920) definierte er den Roman als „Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit". In vielen Romanen zeigte sich die vergebliche Suche der Schriftsteller nach einer verlorengegangenen Totalität. In den 20er Jahren experimentierten viele Autoren mit der Form des Romans, sie gingen aber verschiedene Wege in der dichterischen Gestaltung ihrer Aussagen.

Das Werk Franz Kafkas wurde erst nach seinem Tod bekannt. Die Verlorenheit und Einsamkeit der Menschen kommt in seinen Romanen und Erzählungen deutlich zum Ausdruck. Der Mensch kann nicht mehr verstehen, was um ihn herum geschieht. Ferne zu Gott und zu den Menschen und ein aussichtsloser Kampf gegen undefinierbare Mächte sind die Themen seiner Romane Der Prozess (entstanden 1914/15, erschienen 1925), Das Schloss (entstanden 1922, erschienen 1926) und Amerika (begonnen 1912, erschienen 1927). Alle drei Romane sind unvollendet, sie wurden gegen Kafkas Willen nach seinem Tod veröffentlicht. Kafka gab in seinen Romanen die Position des allwissenden Erzählers auf. Nicht der Held bestimmt das Geschehen, sondern das Geschehen beeinflusst den Helden. Kafkas Romane werden immer wieder neu interpretiert, doch trotz der nüchternen Sprache entzieht sich die Handlung einer klaren Deutung. In Das Schloss versucht,,K.", einer merkwürdigen Beamtenbehörde näherzukommen, die niemand durchschaut. Der Prozess stellt den Bankbeamten Josef K. dar, der im Auftrag eines imaginären Gerichts verhaftet und schliesslich ohne erkennbaren Grund zum Tod verurteilt wird. Josef K. ist aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und beginnt verzweifelt eine Selbstrechtfertigung, die ihm misslingt. Die häufig eingenommene Erzählhaltung der „erlebten Rede" soll dem Leser eine Möglichkeit zur Identifikation bieten. Die Vorgänge werden bei der erlebten Rede aus der Perspektive der erlebenden Person, jedoch nicht in der Ich-Form dargestellt:

Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. (...)

Was waren denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen?

Thomas Manns Roman Der Zauberberg (1924) sollte ursprünglich ein „humoristisches Gegenstück" zu der Novelle Der Tod in Venedig (1913) werden, wuchs aber dann zu einem zweibändigen Werk. Hans Castorp besucht seinen Vetter Joachim in einem Lungensanatorium in Davos. Ursprünglich wollte Castorp eine Woche bleiben, doch fasziniert von der Atmosphäre der Krankheit und der Todessehnsucht bleibt er sieben Jahre auf dem „Zauberberg" in Davos, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihn in die „Niederungen" des Lebens zurückruft. Nach dem Muster des Bildungsromans macht Hans Castorp hier in der Abgeschiedenheit seine Erfahrungen. Er begegnet dem demokratisch-aufklärerischen Humanisten Settembrini, dem despotischen Jesuitenschüler Naphta und der verlockenden Weiblichkeit und todessehnsüchtigen Liebe der rätselhaften Madame Clawdia Chauchat. Settembrini und Naphta treten als konkurrierende Erzieher Castorps auf. Ein Geflecht von Motiven und Bildern durchzieht den Roman. In den sieben Jahren, die Castorp auf dem Zauberberg verbringt, verliert er das Gefühl für die Zeit. Die erzählte Zeit läuft im Vergleich zur Erzählzeit immer schneller ab. Im zentralen,,Schnee-Kapitel" heisst es über Castorp, der sich auf einer Schneewanderung verirrt:

Schweig still und sieh, dass du fortkommst", sagte er (...) Allein, dass es schlimm war, unter dem Gesichtspunkt seines Davonkommens, war eine reine Feststellung der kontrollierenden Vernunft, gewissermaBen einer fremden, unbeteiligten, wenn auch besorgten Person. Für sein natürliches Teil war er sehr geneigt, sich der Unklarheit zu überlassen, die mit zunehmender Müdigkeit Besitz von ihm ergreifen wollte, nahm jedoch von dieser Geneigtheit Notiz und hielt sich gedanklich darüber auf. „Das ist die modifizierte Erlebnisart von einem, der im Gebirge in einen Schneesturm gerät und nicht mehr heimfindet", dachte er.

In diesem Schneekapitel ist die Problematik des Romans und der Figur Hans Castorps konzentriert dargestellt.

Der Berliner Arzt und Schriftsteller Döblin veröffentlichte 1924 den umfangreichen Roman Berge Meere und Giganten, einen im 24. bis 27. Jh. spielenden Roman, der die grausamen Folgen technischer Erfindungen beschreibt und eine Rettung des Menschen nur in der Rückbesinnung auf ein naturverbundenes Leben sieht. In Berlin schrieb Döblin seinen bekanntesten Roman Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1929). Er ist einer der wenigen Romane Döblins, die die zeitlich aktuelle Wirklichkeit gestalten. In diesem Roman wird die Grossstadt Berlin als „Gegenspielerin" des Franz Biberkopf dargestellt. Franz versucht nach einer Gefängnisstrafe verzweifelt, ein „anständiger Mensch" zu werden. „Dreimal fährt das Schicksal gegen ihn und stört ihn in seinem Lebensplan", so heisst es im Prolog:

Dies zu betrachten und zu hören wird sich für viele lohnen, die wie Franz Biberkopf in einer Menschenhaut wohnen und denen es passiert wie diesem Franz Biberkopf, nämlich vom Leben mehr zu verlangen als das Butterbrot.

Döblin benutzte in diesem Roman bis dahin (in der deutschen Literatur) ungewohnte Möglichkeiten des Erzählens. Durch eine Montagetechnik, die Werbesprüche, Bibelzitate, Wetterberichte, Statistiken, Tagebucheintragungen, Zeitungsausschnitte, Strassenbahnfahrpläne und Liedertexte kombiniert, wird der übermächtige, bedrohliche und chaotische Charakter der Grossstadt deutlich gemacht. Um die Fülle der simultan erregten Vorstellungen des Franz Biberkopf darzustellen, setzte Döblin die von der englischsprachigen Literatur beeinflusste Assoziationstechnik ein. Das ergibt ein verwirrendes Bild der Grossstadt, wodurch das Scheitern des Franz Biberkopf noch überzeugender wirkt.

Der Ősterreicher Musil veröffentlichte 1930/31 den ersten, 1933 den zweiten Band seines fragmentarischen Romans Der Mann ohne Eigenschaften, in dem er eine Bilanz der Epoche der Auflösung und des Untergangs zieht. (erst 1952 erschien die erste vollständige Ausgabe des Romans.) Die Handlung umfasst ein Jahr der sterbenden österreichisch-ungarischen Donaumonarchie (1913/14). Doch in der Schilderung Ősterreichs - „Kakaniens" - spiegelt sich der Niedergang der bürgerlichen Welt. Musil ging es nicht um die Darstellung von zufälligen Ereignissen der Wirklichkeit. Er wollte Möglichkeiten darstellen, von denen das wirkliche Ereignis nur eine Variante ist. Das Geschehen ist auch in Musils Roman nicht mehr das wichtigste. Viel bedeutungsvoller ist die Analyse des Geschehens. Musil nannte dieses Verfahren „Essayismus". Der Nicht-Held Ulrich versucht mehrmals, sein Leben sinnvoll zu gestalten. Er scheitert im Beruf und ist erfolglos bei dem Versuch, die Vorbereitungen für das österreichische Kaiserjubiläum 1918 unter eine leitende Idee zu stellen. Schliesslich strebt er in der Liebe zu seiner Schwester Agathe eine neue Lebensform an.

Neben Musil gestaltete auch der Ősterreicher Joseph Roth den Zusammenbruch der Monarchie in seinen Romanen. Radetzkymarsch (1932) schildert diesen Zerfall am Schicksal der Familie von Trotta. Roth stellte den Zusammenbruch nicht als Gleichnis eines allgemeinen Wertzerfalls dar, sondern zeigte, wie die eigene Vergangenheit und Tradition versank. In der Sehnsucht nach dieser Vergangenheit lag keine Hoffnung auf eine Wiederkehr.

Auch in Hermann Brochs Romantrilogie Die Schlafwandler (1931/32) zeigen sich Einflüsse von James Joyce. Die Trilogie umfasst die Romane Pasenow

 

oder die Romantik —1888, Esch oder die Anarchie -1903 und Huguenau oder die Sachlichkeit —1918. Die Trilogie ist die Darstellung eines geistesgeschichtlichen Prozesses, der die Auflösung des christlichen Weltbildes des mittelalterlichen Europa zeigt. Kennzeichen dieses Prozesses ist der „Zerfall der Werte". Broch verwendete viele verschiedene Darstellungsformen und Stilebenen, eine Fülle von Motiven, und er forderte vom Leser eine aktive erkenntnistheoretische Mitarbeit.

Denkarbeit wurde auch im Theater der Zwanziger Jahre vom Publikum verlangt. In Berlin eröffnete der Regisseur Erwin Piscator (1893-1966) sein,,proletarisches Theater", das das „bürgerliche Theater" ablösen sollte. Die Dramatiker Brecht und Zuckmayer dominierten im Berliner Theaterleben, auch Ődön von Horvath und Marieluise Fleisser traten mit ihren Stücken an die Őffentlichkeit. Brechts erstes, noch an den Expressionismus erinnerndes Stück Baal (1920) besteht aus vielen einzelnen Szenen, die von Bänkelliedern unterbrochen werden. Schon hier deutete sich die spätere Verwendung von Songs in seinen Stücken an.

Aus der „Komödie" Trommeln in der Nacht (1923) stammt die berühmtgewordene Aufforderung „Glotzt nicht so romantisch", was ein früher Hinweis auf die Suche nach Wahrhaftigkeit ist: die Technik der Illusionszerstörung. Das Stück spielt in Berlin vor dem Hintergrund des Spartakus-Aufstands 1919. (Der „Spartakus" war eine linksradikale, revolutionare Vereinigung unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beide während dieses Aufstands ermordet wurden.) Der Soldat Kragler kehrt aus dem Krieg heim. Seine Braut Anna hat inzwischen geheiratet, weil ihr Vater sich dadurch wirtschaftliche Vorteile versprach. Anna verlässt jedoch ihren Mann und kehrt zu Kragler zurück, der sich jetzt von der Revolution zurückzieht. Der Theaterkritiker Herbert Ihering urteilte über Brecht:

Brecht empfindet das Chaos und die Verwesung körperlich. Daher die bei-spiellose Bildkraft der Sprache. Diese Sprache fühlt man auf der Zunge, am Gaumen, im Ohr, im Rückgrat.

Brechts Stück Mann ist Mann (1927) ist ein „Lustspiel" und heisst im Untertitel Die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbarakken von Kilkoa im Jahre 1925. Brecht benutzte hier erstmals die Parabelform. Er liess die Handlung auf verschiedenen Ebenen spielen und kommentierte sie mit Songs und Selbstvorstellungen der auftretenden Personen. (Die Musik zu diesem Stück komponierte Paul Dessau.) Vor der 9. Szene heisst es:

Zwischenspruch

Gesprochen von der Witwe Leokadja Begbick.

Herr Bertolt Brecht behauptet: Mann ist Mann. Und das ist etwas, was jeder behaupten kann. Aber Herr Bertolt Brecht beweist auch dann

Dass man mit einem Menschen beliebig viel machen kann.

Hier wird heute abend ein Mensch wie ein Auto ummontiert

Ohne dass er irgend etwas dabei verliert.

Dem Mann wird menschlich nähergetreten

Er wird mit Nachdruck, ohne Verdruss gebeten

Sich dem Laufe der Welt schon anzupassen

Und seinen Privatfisch schwimmen zu lassen.

Und wozu auch immer er umgebaut wird

In ihm hat man sich nicht geirrt.

Man kann, wenn wir nicht über ihn wachen

Ihn uns über Nacht auch zum Schlachter machen.

Herr Bertolt Brecht hofft, Sie werden Boden, auf dem Sie stehen

Wie Schnee unter Ihren Füssen vergehen sehen

Und werden schon merken bei dem Packer Galy Gay

Dass das Leben auf Erden gefährlich sei.

Internationalen Erfolg für Brecht brachte Die Dreigroschenoper, ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern nach dem Englischen des John Gay (1928). Dieses Stück ist eine moderne Version der Bettleroper (1728) des Engländers John Gay. Die Musik für Die Dreigroschenoper schrieb Kurt Weill. Hauptfigur ist der Gauner Macheath, genannt Mackie Messer, und sein Gegenspieler, der Bettlerkönig Peachum. Als Macheath Peachums Tochter Polly heiratet, lässt das Ehepaar Peachum ihn bald bei einem seiner regelmässigen Bordellbesuche verhaften. Macheath kann mehrere Male aus dem Gefängnis fliehen, bis er zuletzt gehängt werden soll. Als er den Kopf schon in der Schlinge hat, erscheint ein reitender Bote der englischen Königin und verkündet die Begnadigung. In der Dreigroschenoper verband Brecht sentimentale und groteske Züge. Die Songs trugen zum angestrebten Verfremdungseffekt bei. Der Zuschauer sollte nicht Partei ergreifen für oder gegen eine Figur des Stücks, sondern seine eigene gesellschaftliche Position erkennen und reflektieren. Die Maxime „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" brachte die Zeitkri-tik auf eine saloppe und verständliche Formel.

Zuckmayers Volksstück Der fröhliche Weinberg (1925) spielt im

Rheingau und stellt derbe, unbeschwerte Lebenslust dar. Der Hauptmann von Köpenick (1931) ist,,ein deutsches Märchen in drei Akten",das satirisch die sture Bürokratie und den preussischen Militarismus anklagt. Hier wird das Thema,,Kleider machen Leute" wieder aktuell: Der Berliner Schuster Voigt versucht mit Hilfe einer ausgeliehenen Uniform, die ihm Autorität verleiht, zu seinem Recht zu kommen, nachdem er von einer Behörde zur anderen geschickt worden ist, um

eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Die Kritik wird durch den humoristischen Ton gemildert. Volksstücke schrieb auch Marieluise Fleisser, doch anders als bei Zuckmayer fehlt ihren Stücken die humoristische Komponente. Ihre Milieustücke aus dem bayerischen Volksleben sind von Brecht beeinflusst, der

ihrem zweiten Stück den Titel Fegefeuer in Ingolstadt (1926) gab.

Fleisser führte Menschen vor, die dem Leben völlig hilflos gegenüber stehen und aus dieser Hilflosigkeit eine gegenseitige Aggressivitat entwickeln.

Die Volksstücke des Ősterreichers Horvath hatten in Berlin schnell Erfolg und wurden auch in den 70er Jahren wieder häufig aufgeführt. Sie handeln von den Aussenseitern der Weimarer Republik, von Arbeitslosen und Kleinbürgern. Horvath versuchte, die Gefahren des Nationalsozialismus darzustellen, z.B. in Italienische Nacht (1931). Geschichten aus dem Wiener Wald ( 1931) verfolgt die Geschichte eines Mädchens, das in einer Welt der oberflächlichen Gemütlichkeit untergeht, weil es die verharmlosende Tarnung der schrecklichen Wirklichkeit nicht durchschaut. Horvath sagte über seine Stücke:

Alle meine Stücke sind Tragödien - sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind.

Viele Autoren erkannten während der Weimarer Republik die Bedrohung durch den wachsenden Nationalsozialismus. Neben den Romanen und Theaterstücken entwickelten sich kleine Formen literarischer Zeitkritik.

In Satiren, Reportagen und Gedichten drückte Kurt Tucholsky seine Kritik und seine Warnungen mit Berliner Humor und aggressiver Verzweiflung aus. Tucholsky war Mitarbeiter und zeitweise Mitherausgeber der bedeutenden Zeitschrift Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst und Wissenschaft, die 1918-1933 erschien. Tucholsky vertrat einen liberal orientierten Humanismus. In seinem „Bilderbuch" Deutschland, Deutschland über alles (1929), das eine leidenschaftliche Kritik am Nationalsozialismus enthält, schrieb Tucholsky:

Wir pfeifen auf die Fahnen - aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln - mit gleichem Recht, mit genau demselben Rechte nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel - mit genau demselben Recht nehmen wir Fluss und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: Es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen - weil wir es lieben.

In seinen satirischen Romanen und Gedichten wandte sich Erich Kästner gegen das Spiessertum, gegen Militarismus und Faschismus. Mit Humor und Ironie verband er das Anliegen eines,,Moralisten", auf die Missstände hinzuweisen. In der „Gebrauchslyrik", die für den Alltag, für einen bestimmten Zweck geschrieben wurde, verwendeten Kästner und Tucholsky eine saloppe, nüchterne und ironische Sprache mit einfachen Versen und Reimen. In Kästners Gedicht Kurt Schmidt, statt einer Ballade heiBt es:

Der Mann, von dem im weiteren Verlauf

die Rede ist, hiess Schmidt (Kurt Schm., komplett).

Er stand, nur sonntags nicht, früh 6 Uhr auf

und ging allabendlich Punkt 8 zu Bett.

10 Stunden lag er stumm und ohne Blick.

4 Stunden brauchte er für Fahrt und Essen.

9 Stunden stand er in der Gasfabrik.

1 Stündchen blieb für höhere Interessen. (...)

 

9 Stunden stand Schmidt schwitzend im Betrieb.

4 Stunden fuhr und aB er, müd und dumm.

10 Stunden lag er, ohne Blick und stumm.

Und in dem Stündchen, das ihm übrigblieb,

brachte er sich um.

Kästners erster Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931) ist eine in leicht verständlicher Sprache erzählte Satire auf das Ende der Zwanziger Jahre, als die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte. Kästner sagte über sein Buch:

kein Poesie- und Fotografiealbum, sondern eine Satire. Es beschreibt nicht, was war, sondern es übertreibt. Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten. Die Karikatur, ein legitimes Kunstmittel, ist das Ẫusserste, was er vermag. (...) Sein angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten.

Bertolt Brechts Hauspostille (1927) ist in fünf,,Lektionen" eingeteilt und enthält in Gedichtform Angriffe auf die Gesellschaft der Weimarer Republik. Walter Benjamin (1892-1940) urteilte über die Hauspostille:

Der Choral, mit dem die Gemeinde erbaut werden wird, das Volkslied, mit dem das Volk abgespeist werden soll, die vaterländische Ballade, die den Soldaten zur Schlachtbank begleitet, das Liebeslied, das den billigsten Trost anpreist - sie alle bekommen hier einen neuen Inhalt.

Ohne neue Programme und Gruppenbildungen wurde die expressionistische Lyrik von einer andersgearteten Lyrik abgelöst, die sich rasch den Vorwurf einer unpolitischen Haltung gefallen lassen musste. Jedoch machte sich das Bemühen um eine nüchterne Betrachtung auch in der Lyrik der Zeit bemerkbar. Durch die Darstellung der Landschaft und der Natur wollte man die Ordnung hinter den Dingen wieder sichtbar machen.

Solch eine Ordnung kommt in den Gedichten O. Loerkes zum Ausdruck. Neben vielen Landschaftsgedichten schrieb er auch Gedichte über die Grossstadt, z. B. Blauer Abend in Berlin

Der Himmel fliesst in steinernen Kanälen;

Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen

Sind alle Strassen, voll vom Himmelblauen;

Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen

Im Wasser. Schwarze Essendampfe schwelen

Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.

Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,

Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.

Wie eines Wassers Bodensatz und Tand

Regt sie des Wassers Wille und Verstand

Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.

Die Menschen sind wie grober bunter Sand

Im linden Spiel der grossen Wellenhand.

 

Loerke übte grossen Einfluss auf W. Lehmann aus, dessen Gedichte von einer tiefen Naturverbundenheit geprägt sind. Bei ihm schliesst die Wirklichkeit das Traumhafte und Magische mit ein. In dem erst 1948 veröffentlichten Bukolischen Tagebuch aus den Jahren 1927-1932 sagte er:

Die Dinge überdauern den Menschen. Er lebt eine kürzere Spanne als sie, weil er immerfort dem Bewusstsein standhalten muss.

Lehmanns Naturlyrik geht von einem sinnlichen Erleben der Welt aus. Die Sprache ist reich an Symbolen. Seine Gedichtsammlungen konnte er sogar in der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichen (Antwort des Schweigens, 1935).

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhren die Gedichte von Loerke und Lehmann eine neue Rezeptionsphase. Beide Dichter hatten grossen Einfluss auf die nach dem Krieg entstandene Naturlyrik.

 

Fragen zur Vorlesung 3:

1. Charakterisieren Sie die Zeit der „Weimarer Republik“.

2. Warum charakterisiert man das Werk von Hermann Hesse oft mit dem Begriff „Neuromanik“? Welche Romane schrieb er?

3. Erklären Sie den Begriff „Neue Sachlichkeit“.

4. Charakterisieren Sie das Werk von Franz Kafka. Erklären Sie den Begriff „Erlebte Rede“.

5. Erklären Sie am Beispiel des Romans „Der Zauberberg“ von Th. Mann die Begriffe „Erzählzeit“ und „erzählte Zeit“.

6. Welche ungewohnten Möglichkeiten des Erzählens benutzte Alfred Döblin in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“?

7. Was versteht man unter dem Begriff „Essayismus“?

8. Wie entwickelte sich das Theater der Zwanziger Jahre? Nennen Sie die Merkmale der Theaterstücke von Bertolt Brecht.

9. In den Zwanziger Jahren erlebte die Gattung des Volksstücks eine Renaissance. Was ist ein Volksstück? Nennen Sie einige Beispiele.

10. Charakterisieren Sie die Lyrik von E. Kästner, O. Loerke und W. Lehmann.

 

Vorlesung 4

Deutsche Literatur im Exil(1933 – 1945)

 

Am 10. Mai 1933, ein Vierteljahr nach Hitlers Machtergreifung, wur-; den in der Reichshauptstadt Berlin und in vielen anderen deutschen Universitatsstadten Bticher deutscher Autoren verbrannt, weil sie als „schadlich" fur das deutsche Volk galten. Der Literaturhistoriker Alfred Kantorowicz, der selbst im Exil war, schrieb 1947 iiber die Bucherverbrennung:

250 Schriftsteller einer Generation verstummen oder verlassen ihr Land. Man hat dergleichen in geschichtlichen Zeiten noch nicht erlebt, daB nahezu die gesamte qualifizierte Literatur eines Landes sich den Usurpatoren widersetzt. 250 Schriftsteller! Viele bedeutende und die bedeutendsten, viele beruhmte und die weltberuhmten Autoren deutscher Zunge unter ihnen.

Fur zahlreiche deutsche, zunachst vor allem fur die judischen Autoren bestand nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutsch-land eine unmittelbare Lebensgefahr. Viele von ihnen verlieBen das Land und hielten sich in der Nahe der deutschen Grenzen auf, um moglichst schnell wieder zuruckkehren zu konnen, sobald,,dieser Spuk" vorbei war.

1937 erschien in der Zeitschrift Die neue Weltbühne Bertolt Brechts Gedicht:

 

Űber die Bezeichnung Emigranten

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten.

Das heiBt doch Auswanderer. Aber wir

Wanderten doch nicht aus, nach freiem EntschluB

Wiihlend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht

Ein in ein Land, dort zu bleiben, womoglich fur immer.

Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.

Und kein Heim, ein Exil soil das Land sein, das uns da aufnahm.

Unruhig sitzen wir so, moglichst nahe den Grenzen

Wartend des Tags der Ruckkehr, jede kleinste Veranderung

Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankommling

Eifrig befragend, nichts vergessend und nichts aufgebend

Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend.

Ach, die Stille der Stunde tauscht uns nicht! Wir horen die Schreie

Aus ihren Lagern bis hierher. Sind wir doch selber

Fast wie Geruchte von Untaten, die da entkamen

Uber die Grenzen. Jeder von uns

Der mit zerrissenen Schuhn durch die Menge geht

Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt.

Aber keiner von uns

Wird hier bleiben. Das letzte Wort

Ist noch nicht geprochen.

„Exil" bedeutet den längeren - unfreiwilligen - Aufenthalt in einem fremden Land. Fur deutsche Emigranten boten sich zunachst die euro-paischen Nachbarlander als Zufluchtsorte an: die deutschsprachige Schweiz, Frankreich - vor allem Paris -, die skandinavischen Lander, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde die Lage deutscher Emigranten in den europaischen Gastlandern zunehmend gefahrlich; es spielten sich zum Teil dramatische Schicksale ab, bis es ihnen gelang, ein Visum und vor allem eine Schiffskarte fur die Flucht nach Nord- oder Sudamerika zu bekommen, wo ab 1940 die meisten deutschen Emigranten lebten. Trotz der groBen Schwierigkeiten entstand auch in diesen Jahren deutschsprachige Literatur, die zum uberwiegenden Teil erst in den 50er Jahren in Deutschland bekannt wurde. Es ist nicht leicht, einheit-liche Themen und Tendenzen dieser Literatur nachzuzeichnen. Zu unterschiedlich waren die personlichen Umstande der Autoren, die Gefahrlichkeit ihrer Flucht und die neuen Lebensbedingungen. Die einzige Gemeinsamkeit war die kompromiBlose Ablehnung Hitlers und des Nationalsozialismus.

 

Diese gemeinsame Ablehnung hatte verschiedene Auswirkungen: Einige Schriftsteller zogen sich zurtick oder nahmen sich aus Verzweif-lung das Leben. Andere engagierten sich in ihrem Gastland politisch, machten auf die schlimmen Zustande in Deutschland aufmerksam oder stellten ihre Schriften zunachst ganz in den Dienst der antifaschisti-schen Propaganda. In Prag und Amsterdam wurden deutsche Verlage gegriindet (Malik-Verlag in Prag/London, Querido-Verlag in Amster¬dam). Die meisten deutschsprachigen Exilromane wurden im Querido-Verlag veroffentlicht.

In den ersten Jahren des Exils erschienen einige von Emigranten herausgegebene Zeitschriften, so ab September 1933-1935 in Prag die Zeitschrift Neue Deutsche Blatter, herausgegeben von Wieland Herzfelde, Anna Seghers und Oskar Maria Graf (1894-1967). In der ersten Ausgabe hieB es:

Wer schreibt, handelt. Die Neuen Deutschen Blätter wollen ihre Mitarbeiter zu gemeinsamen Handlungen zusammenfassen und die Leser im gleichen Sinn aktivieren. Sie wollen mit den Mitteln des dichterischen und kritischen Wortes den Faschismus bekampfen. (...)

Es gibt keine Neutralitat. Fur niemand. Am wenigsten fur den Schriftsteller. (...) Schrifttum von Rang kann heute nur antifaschistisch sein.

Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel veroffentlichten in Moskau die Zeitschrift Das Wort (1936-1939). Klaus Mann, ein Sohn Thomas Manns, versuchte in Amsterdam, die Exilautoren zu mobilisieren und ihnen eine Publikationsmoglichkeit im Ausland zu geben. Einige Autoren hatten bereits ihre Mitarbeit bei der von Klaus Mann geplanten Zeitschrift Die Sammlung (1933-1935) zugesagt. Unter dem Druck ihrer deutschen Verlage zogen Th. Mann, A. Doblin, St. Zweig, R. Musil, O. von Horvath und andere ihre Zusagen mit dem Hinweis auf den,,politischen" Charakter der Zeitschrift wie-der zurtick. Th. Mann wandte sich spater in 55 kurzen Rundfunkan-sprachen, die der britische Sender BBC 1940-1945 ausstrahlte, aufrut-telnd, warnend und auch anklagend an das deutsche Volk. Heinrich Mann emigrierte schon 1933 nach Nizza/Frankreich. Auch im Exil setzte er seine publizistische Tatigkeit fort und wurde zum wichtigsten Befürworter der deutschen Volksfront (Koalition zwischen burgerlichen Linken, Sozialisten und Kommunisten). H. Mann war gepragt von humanistischem, aufklarerischem Gedankengut und hatte eine besondere Affinitat zur franzosischen Geistesgeschichte. Im Exil entstanden viele historische Romane, die Dichter suchten in der Geschichte ihre Zuflucht. Seinen historischen Roman in zwei Teilen Die Jugend des Konigs Henri Quatre (1935) - Die Vollendung des Konigs Henri Quatre (1938) hatte H. Mann noch wahrend der Zeit der Weimarer Republik nach umfassenden Quellenstudien begonnen. Georg Lukacs nannte Henri Quatre „das hochste Produkt des moder-nen historischen Romans". H. Mann berichtet aus vielen verschiede-nen Perspektiven vom Leben Konig Heinrichs IV. (1553-1610), der als Schuler des franzosischen Philosophen Montaigne ein von humanisti-schen und sozialen Ideen gepragtes Konigreich aufbauen will. Der Roman enthalt zahlreiche Parallelen zum nationalsozialistischen Ter¬ror in Deutschland.

Thomas Manns vierteiliger Romanzyklus Joseph und seine Brüder (1948) handelt von historischen, von biblischen und von mythischen Stoffen (Die Geschichten Jaakobs, 1933; Der junge Joseph, 1934; Л Joseph in Agypten, 1936 und Joseph, der Ernahrer, 1943). Die lange Entstehungszeit war mitbedingt durch Thomas Manns Weg ins Exil. Er kehrte 1933 von einer Reise nicht nach Deutschland zuruck und blieb zunachst in der Schweiz, bevor er 1938 nach Amerika emigrierte. Die einzelnen Teile des Romans entstanden auf verschiedenen Stationen des Exils. Th. Mann lehnte sich bei der umfangreichen Ausarbeitung dieses Werks an Goethe an, der tiber die biblische Josephslegende gesagt hatte:

Hochst anmutig ist diese natiirliche Geschichte, nur erscheint sie zu kurz, und man fuhlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen.

In der Tetralogie stellte Th. Mann Joseph als Vermittler zwischen dem Mythos und der geschichtlichen Wirklichkeit dar.

i Neben den historischen Romanen gehoren zur Exilliteratur viele Werke, die das Exil selbst zum Thema haben. Ein Zeitroman mit i aktuellem Bezug ist Klaus Manns Der Vulkan. Roman unter Emigran-) ten (1939). K. Mann hatte nach seinen friihen Versuchen, die Emigran-ten zu gemeinsamem Handeln zu bewegen, resigniert. Schauplatz sei¬nes Romans ist Paris. K. Mann bemuhte sich, „das wirre, reiche, triibe Exil-Erlebnis in epische Form zu bringen". Er wollte die Gefahrlich-keit Deutschlands, des,,Vulkans", deutlich machen. r Lion Feuchtwangers Romanzyklus Der Wartesaal besteht aus den Teilen Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz (1930), Die Geschwister Oppenheim (1933) und Exil (1940). Feuchtwanger war 1933 von einer Vortragsreise nicht nach Deutschland zuruckgekehrt und lebte bis 1940 in Frankreich, von wo er nach der Flucht aus dem Internierungslager uber Spanien und Portugal nach Amerika emigrierte. Die Figuren seiner drei thematisch abgeschlossenen Romane sind zum Teil verschlusselte Personen des Zeitgeschehens. Ironisch und boshaft beschrieb er in dem autobiographisch gefarbten Erfolg die Anfange des Nationalsozialismus. Die Folgen fur die Juden in Deutschland stellte Feuchtwanger in Die Geschwister Oppenheim an einer judischen Berliner GroBbiirgerfa-milie exemplarisch dar. Der letzte Teil Exil spielt in Paris im Fruhjahr 1935 und berichtet nach dem Urteil vieler Betroffener authentisch von der Situation deutscher Emigranten in Paris. Das Phanomen des Exils wurde hier an individuellen Einzelschicksalen verdeutlicht. Uber den gesamten Zyklus sagte Feuchtwanger, der Inhalt sei

der Wiedereinbruch der Barbarei in Deutschland und ihr zeitweiliger Sieg uber die Vernunft. Zweck der Trilogie ist, diese schlimme Zeit des Wartens und des Ubergangs, die dunkelste, welche Deutschland seit dem DreiBigjahrigen Krieg erlebt hat, fur die Spateren lebendig zu machen.

Anna Seghers, die 1933 nach Frankreich floh und 1941 weiter nach Mexiko emigrierte, engagierte sich auch im Exil politisch. In Paris hielt sie 1935 eine Rede auf dem „1. International SchriftstellerkongreB zur Verteidigung der Kultur" und nahm an den Veranstaltungen des,,Schutzbundes deutscher Schriftsteller" teil. Sie schrieb Romane, die das Exil oder den von kommunistischer Seite geforderten Widerstand gegen den Nationalsozialismus thematisierten. Transit (1944 in spanischer und englischer Sprache, 1948 in deutscher Sprache) verarbeitet die Erlebnisse in Marseille, bevor A. Seghers mit einem Frachtschiff nach Mexiko fahren durfte. Der PaB, ohne den der Mensch keine Identitat mehr zu haben scheint, wird hier zum Motiv. Es verdeutlicht die Situation der Emigranten, die in Marseille fur ein Schiffsticket kampften, um dem sicheren Tod zu entgehen. Die wachsende Entfremdung von der Heimat, die undurchschaubare Burokratie der Aus-reisebehorden und die UngewiBheit ergeben ein dtisteres Bild der Sinnlosigkeit, die an Kafkas Erzahlungen erinnert. Ernst Toller veroffentlichte 1933 im Amsterdamer Emigrantenverlag Nat Querido seine fragmentarische Autobiographie Eine Jugend in als" Deutschland (1933), in der er sich zur Mitverantwortung am Geschehen in Deutschland bekennt. Toller war 1918 Mitglied der Mtinchner Rateregierung.

Zeitbezogen wie Tollers Werk ist Brechts Furcht und Elend des Dritten Ber Reiches (1938). Brecht schrieb die 24 Szenen 1935-38 im danischen Exil. Sie sind thematisch nicht miteinander verbunden, sondern stellen modellhaft und detailgetreu die Situation in Deutschland dar, die nur noch Ekel, kein Mitleid herausfordert. Brechts Szenen waren fur die Buhne geschrieben und hieBen ursprunglich Deutschland — ein Greuel-marchen (in Anlehnung an Heines im Pariser Exil 1844 geschriebenes Deutschland. Ein Wintermarchen).

Horvath fuhrte in seinem Roman Jugend ohne Gott (1938) ebenfalls einzelne Szenen vor, doch sie ergeben die zusammenhangende Geschichte eines Lehrers, der das faschistische Verhalten einer Schulklasse gegenuber einem Mitschiiler beobachtet und schlieBlich resigniert nach Afrika auswandert.

Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland (1942) brachte Anna Seghers internationalen Erfolg. Das Werk schildert den Weg des Kommunisten Heisler, dem die Flucht aus einem Konzentrationslager gelang. Diese Flucht findet zunachst kein Ende. Die Welt verwandelt sich in ein „System lebender Fallen", bis er es schlieBlich schafft, sich ins Ausland zu retten. Sehr genau wird die Solidaritat der Arbeiter mit Georg geschildert. Die Kompositionstechnik des Romans, zahlreiche Ruckblenden und eine Rahmengeschichte ergeben ein realistisches Bild Deutschlands, das Anna Seghers im mexikanischen Exil niederschrieb.

1937/38 wurde in der Moskauer Exilzeitschrift Das Wort die sogenannte Expressionismusdebatte ausgetragen, in der es um die marxistische Realismuskonzeption ging. Der in diesem Zusammenhang stehende Briefwechsel zwischen Anna Seghers und Georg Lukacs (1885-1971) behandelt die Fragen der Gestaltung von Wirklichkeit in der Literatur. Lukacs forderte, daB ein Schriftsteller die gesellschaftliche Totalitat darstellen mtisse. Anna Seghers wies auf die neue Erzahl-technik des Amerikaners John Dos Passos (1896-1970) hin und meinte, die gesellschaftliche Totalitat sei oft nur noch in,,Fetzen von Stoffen" auszudrucken. Der Schriftsteller konne sich der Welt nur noch tastend nahern und Bruchstucke der Totalitat wiedergeben. Der Roman Das

siebte Kreuz zeigt solch ein Bruchstiick in der Biographie des ausgebrochenen Haftlings Georg Heisler.

Thomas Mann beschaftigte sich im Exil weiterhin mit Goethe, als dessen Nachfolger er gerne gesehen werden wollte. Lotte in Weimar (1939) erzahlt von einem Treffen Goethes mit der alten Dame Charlotte Buff (Werthers,,Lotte" aus Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers). Ironisch distanziert verknupft Th. Mann in diesem Roman, den er eine,,intellektuelle Komodie" nannte, Phantasie und Wirklichkeit, Kunst und Leben, Wissen und Erkennen. Im amerikanischen Exil entstand auch Th. Manns Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverktihn, erzahlt von einem Freunde (1947). Uber diesen,,Roman der Endzeit" sagte er: ich schreibe

nichts Geringeres als den Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hochprekaren und siindigen Kunstlerlebens.

In Doktor Faustus flieBen viele Zeitebenen zusammen, Th. Mann erarbeitete den gesamten Fauststoff. Der Roman ist zugleich eine literarische Darstellung des Phanomens des Faschismus und die Ktinst-lerbiographie des Musikers Adrian Leverktihn, die von seinem Freund Serenus Zeitblom aufgezeichnet wurde.

Neben den historischen Romanen und den Romanen mit aktuellem Zeitbezug gab es noch weitere Versuche, die Situation im Exil schrei-bend zu bewaltigen.

Von 1932 bis 1942 schrieb Hesse in der Schweiz, wo er schon seit 1912 wieder wohnte, „aller Vergiftung der Welt zum Trotz" Das Glasperlen-spiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften (1943). Knechts hinterlassene Schriften ftihren in fruhere Epochen der Menschheitsgeschichte zuruck. Seine Biographie macht zusammen mit diesen Schriften an einem „individuellen, aber tiberzeitlichen Lebenslauf (...) die innere Wirklichkeit Kastaliens (...) sichtbar": humanistische Geistigkeit, die sich samtlichen Inhalten und Werten der Menschheitskultur verpflich-tet weiB und „der Welt ihr geistiges Fundament zu erhalten" sucht, den Sinn fur die Wahrheit. Die Gelehrten sinnen im Glasperlenspiel uber die Grundformen der zeitlosen Existenz nach. Da Knecht um 2400 die padagogische Provinz durch Ordensdunkel und Standeshochmut bedroht sieht, kehrt er - seinem Gewissen folgend - als Lehrer eines einzigen Schulers ins alltagliche Leben zuruck.

F. Werfels utopischer Roman Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman (1946) entstand im amerikanischen Exil und hat den deutschen Barockroman zum Vorbild. Der Roman umfaBt drei Tage des Jahres 1945, in denen der Ich-Erzahler,,F. W." erfahrt, daB sich der Mensch trotz des zivilisatorischen Fortschritts nicht geandert hat. In Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europaers (1942) stellte E Stefan Zweig die von zwei Weltkriegen vernichtete Erwartung einer Epoche des Humanismus dar. Der Glaube an die „volkerverbindende S Macht des Geistes" und die Hoffnung auf ein geeintes Europa waren durch den Faschismus in Deutschland endgultig zerstort. Noch wah-rend des Exils und anschlieBend aus der Riickschau schrieb A. Doblin Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis (1949). Er versuchte, die eigenen Erlebnisse und das Zeitgeschehen zu erfassen. Dublin kehrte als einer der ersten aus dem Exil zuriick, um am kulturellen Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken:

Es wird viel leichter sein, ihre Stadte wiederaufzubauen als sie dazu zu bringen, zu erfahren, was sie erfahren haben und zu verstehen, wie es kam.

Ein ausfuhrliches und tiefgreifendes Fazit zog Heinrich Mann in Ein Zeitalter wird besichtigt (1945). In diesem politisch-autobiographischen Bericht heiBt es:

Was ich meine: eine wirkliche Hilfe, um am Leben zu bleiben trotz Gefiihl und Gewissen, ist der Zweifel.

Der Ausdruck „innere Emigration" wurde bereits 1933 von Frank ThieB gepragt und bezeichnet die Geisteshaltung deutscher Schriftsteller, die nach 1933 in Deutschland blieben und die,,geistige" Emigration wahlten. Wahrend die Emigranten haufig unter Sprachschwierig-keiten in fremden Landern litten und die Isolation von ihrem deut-schen Publikum deutlich spurten, gab es fur die in Deutschland geblie-benen Schriftsteller, die den Nationalsozialismus ablehnten, haufig Schreib- und Publikationsverbote. Trotzdem konnten einige Werke in der inneren Emigration entstehen und in Deutschland publiziert wer-den. Auch hier wurden historische und religiose Themen bevorzugt: am bekanntesten sind die Romane der beiden zum Katholizismus iibergetretenen Dichter Werner Bergengruen (1892-1964) Der Grofity-rann und das Gericht (1935) und Gertrud von Le Fort (1876-1971) Die Magdeburgische Hochzeit (1938) sowie die Werke der protestantischen Schriftsteller Jochen Klepper (1903-1942) Der Vater (1937) und Edzard Schaper (1908-1984) Die sterbende Kirche (1936). Reinhold Schneider (1903-1958) stellte das Schicksal eines verfolgten Volkes, der sudamerikanischen Indios, in Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit (1938) dar, und auch Frank ThieB (1890-1977) zog verhullte Parallelen zum Dritten Reich in seinem Roman Das Reich der Damonen (1941). Gottfried Benn (s. S. 194) und Ernst Junger (* 1895) schlossen sich spater ebenfalls der inneren Emigration an. Jungers Roman Auf den Marmorklippen (1939) ist ein versteckter Angriff auf den Nationalsozialismus.

it 1934 erschien in Amsterdam Brechts Dreigroschenroman, eine,,ins Epische transponierte Variation" der Dreigroschenoper. Er iibertrug die Verfremdungstechnik seiner Dramen auf diesen Roman. Brecht war vor 1933 der ftihrende Vertreter der jungen Dramatiker in Deutschland. 1933-1939 lebte Brecht in Danemark, 1941 emigrierte er nach Amerika. Dort entstanden seine wichtigsten Stiicke, vor allem auch seine Theorie des epischen Theaters, die er 1949 unter dem TitelKleines Organon fur das Theater in der Zeitschrift Sinn und Form veroffentlichte. Brecht betatigte sich selbst immer wieder als Regisseur und wiinschte, daB seine Stiicke eine wirksame Verbindung von Lehre und Unterhaltung sein sollten. Er wollte jede Illusionsbildung vermeiden und den Zuschauer zum kritischen Betrachten und vor allem zur kritischen Stellungnahme herausfordern. Er nannte das Instrument, mit dem er die Illusion brechen und eine Distanz aufbauen wollte, den „Verfremdungseffekt". Darunter verstand Brecht die Ver- ^ anderung gewohnter Erscheinungen. Seine Stiicke werden durch Zwischentitel und Lieder unterbrochen, oft bestehen sie aus lose verbundenen Szenen, die zeitlich weit voneinander entfernt liegen (Mutter Courage und ihre Kinder, Leben des Galilei). Die Schauspieler sollen eine bewuBte Distanz zu ihrer Rolle behalten. Im Epilog von Der gute Mensch von Sezuan heiBt es:

Wir stehen selbst enttauscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen off en.

Im Exil hat Brecht den Unterschied zwischen dem herkommlichen,,dramatischen" und seinem,,epischen" Theater erklart:

Der Zuschauer des dramatischen Theaters sagt: Ja, das habe ich auch schon gefuhlt. - So bin ich. - Das ist nur natiirlich. - Das wird immer so sein. - Das Leid dieses Mensch en erschiittert mich, weil es keinen Ausweg fur ihn gibt. -Das ist groBe Kunst: da ist alles selbstverstandlich. - Ich weine mit den Weinenden, ich lache mit den Lachenden.

Der Zuschauer des epischen Theaters sagt: Das hatte ich nicht gedacht. - So darf man es nicht machen. - Das ist hochst auffallig, fast nicht zu glauben. -Das muss aufhoren. - Das Leid dieses Menschen erschiittert mich, weil es doch einen Ausweg fur ihn gabe. - Das ist groBe Kunst: da ist nichts selbstverstandlich. - Ich lache iiber den Weinenden, ich weine fiber den Lachenden.

Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreifiigjahri- I gen Krieg (1941 in Zurich uraufgefiihrt) brachte in 12 Bildern das Schicksal der Marketenderin Courage auf die Buhne. Der Stoff geht zuriick auf Grimmelshausens Barockroman Simplicissimus. Mutter Courage versteht es, am Krieg zu verdienen. Sie fahrt mit ihren Sohnen Eilif, Schweizerkas und der stummen Tochter Kattrin den Kriegstruppen hinterher und verkauft, was die Soldaten brauchen. Brecht zeigte hier nicht die groBe Geschichte selbst, sondern machte vor ihrem Hintergrund die Geschichte der kleinen Leute deutlich. Mutter Courage verliert in diesem Krieg ihre drei Kinder, doch sie lernt nichts dazu. Sie nimmt ihren Planwagen und zieht weiter:

Hoffentlich zieh ich den Wagen allein. Es wird schon gehn, es ist nicht viel drinnen. Ich muB wieder in Handel kommen.

Brecht ging es darum, daB vor allem der Zuschauer etwas lernt und nicht die auf der Buhne dargestellten Personen. Das Stuck verbindet den Handlungsablauf mit Songs, die nicht nur die Handlung erhellen und kommentieren, sondern das Geschehen auf der Buhne deutlicher machen und neu interpretieren. Das melancholische „Lied von Salomon, Julius Caesar und anderen groBen Geistern, denens nicht geniitzt hat" handelt von Tugenden, die nichts mehr nutzen. Die Strophen enden mit dem zur jeweiligen Tugend passenden Refrain:

Und seht, da war es noch nicht Nacht Da sah die Welt die Folgen schon: Die Redlichkeit hatt ihn so weit gebracht! Beneidenswert, wer frei davon!

Die erste Fassung von Leben des Galilei entstand im danischen Exil. 1943 wurde das Stuck in Zurich uraufgefuhrt. Wie die Romanautoren der frtihen Exilliteratur machte auch Brecht einen Schritt zuriick in die Geschichte. In freier Behandlung des historischen Stoffs um den italie-nischen Physiker Galileo Galilei (1564-1642) thematisierte er die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaften gegenuber der Mensch-heit. Galilei entdeckt durch seine Versuche, daB die von Kopernikus formulierte These richtig ist. Er gerat mit dieser Entdeckung in Widerspruch zu der Auffassung der Kirche, daB die Erde der Mittel-punkt des Universums sei. Galilei widerruft schlieBlich seine These, um der Inquisition zu entgehen und in Ruhe forschen zu konnen. Offensichtlich parallelisierte Brecht die Situation Galileis mit der Situation vieler deutscher Wissenschaftler nach Hitlers Machtergrei-fung.

Teile des Parabelstucks Der gute Mensch von Sezuan (1943 in Zurich uraufgefuhrt) hatte Brecht schon um 1930 konzipiert. Der ursprungliche, bewuBt mit dem Wort spielende Titel lautete Die Ware Liebe. Drei Gotter wollen auf der Welt den guten Menschen finden. Die Prostituierte Shen Те ist dieser einzige gute Mensch. Die Gotter geben ihr zogernd etwas Geld, damit sie einen Tabakladen eroffnen kann. Shen Те kann nur giitig bleiben gegenuber ihrer Umwelt und anderen helfen, indem sie ein zweites Ich erfindet. Dieses erfundene zweite Ich ist der grausame Vetter Shui Та, der sie vor anderen schutzt. Am SchluB ruft Shen Те in einer von den Gottern geleiteten Gerichtsverhandlung:

Ja, ich bin es, Shui Та und Shen Те, ich bin beides.

Euer einstiger Befehl

Gut zu sein und doch zu leben

ZerriG mich wie ein Blitz in zwei Half ten.

Ich weiB nicht, wie es kam: gut sein zu andern

Und zu mir konnte ich nicht zugleich.

Andern und mir zu helfen, war mir zu schwer,

Ach, eure Welt ist schwierig! Zu viel Not, zu

viel Verzweiflung! (...)

Fur eure groBen Plane, ihr Gotter

War ich armer Mensch zu klein.

Der Dramatiker Carl Zuckmayer emigrierte 1939 iiber Kuba nach Amerika, wo er sich auf eine Farm, fernab vom literarischen Betrieb, zuruckzog. Sein Aufruf zum Leben (1942), in dem er sich und anderen Emigranten Mut zum Durchhalten machte, steht in groBem Gegensatz zu Stefan Zweigs Abschiedsbrief, den dieser vor seinem Freitod im brasilianischen Exil verfaBte. In diesen beiden Zeugnissen kann man die unterschiedlichen Wirkungen der Exilsituation erkennen und begreifen, wie sehr auch der personliche Lebensweg der Autoren von der erzwungenen Heimatlosigkeit gelenkt oder abgebrochen wurde.

Es ist aber nicht an der Zeit, mit dem Tod zu schlafen.

Die Dammerung, die uns umgibt, deutet nicht auf Abend, auf Mond, auf

Buhlschaft. Hinter diesem Zwielicht flammt ein blutiges Morgenrot, das harten

Tag ktindet und das uns ruft, zu leben, zu kampfen, zu bestehen. - Gebt nicht

auf, Kameraden!

(Carl Zuckmayer)

Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hatte ich mir lieber mein Leben vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache fur mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet.

Aber nach dem sechzigsten Jahre bedurfte es besonderer Krafte, um noch einmal vollig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschopft. So halte ich es fur besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschlieBen, dem geistige Arbeit die lauterste Freude und personliche Freiheit das hochste Gut dieser Erde gewesen. Ich griiBe alle meine Freunde! Mogen sie die Morgenrote noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus! Stefan Zweig Petropolis, 22. II. 1942

 

Fragen zur Vorlesung 4:

1. Wann fand die so genannte Bücherverbrennung statt? Welche Autoren galten als „schädlich“ für das deutsche Volk?

2. Erklären Sie den Begriff „Exil“. Nennen Sie die Zufluchtorte der deutschen Emigranten.

3. Wie bewältigten deutsche Autoren ihre Situation im Exil? Beschreiben Sie exemplarisch Wege und Reaktionen.

4. Wie kam die deutschsprachige Literatur im Exil an die Öffentlichkeit? Wie organisierten sich die Exil-Autoren?

5. Welche Gattungen wurden im Exil bevorzugt?

6. Welche Themen wurden in der Exilliteratur behandelt? Nennen Sie Beispiele.

7. Was bedeutet der Ausdruck „innere Emigration“?

8. Charakterisieren Sie das Schaffen von B. Brecht. Nennen Sie die Besonderheiten des epischen Theaters.

 

 

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